Rezension: "180° Meer" von Sarah Kuttner

Titel: 180° Meer
Autorin: Sarah Kuttner
Verlag: FISCHER Taschenbuch
Seitenzahl: 272
Genre: Gegenwartsliteratur

Inhalt

Jule, eine junge Frau Anfang dreißig, die sich als Sängerin ihren Lebensunterhalt verdient, trägt wahnsinnig viel Hass in sich. Sie hatte eine schwierige Kindheit, denn nachdem ihr Vater die Familie verlassen hat, ist sie mit ihrem jüngeren Bruder Jakob bei ihrer selbstmordgefährdeten Mutter, zuerst in Stralsund und später dann in Berlin, aufgewachsen. Auf beide Elternteile ist sie nun als Erwachsene nicht sonderlich gut zu sprechen. Dementsprechend ist sie von den ständigen Anrufen ihrer Mutter nur genervt. Auch ihr Job befriedigt sie nicht und eigentlich ist sie durch und durch mit ihrem Leben unzufrieden. Als dann auch noch die Beziehung zu ihrem Freund Tim auf der Kippe steht, flieht sie zu ihrem Bruder Jakob nach London, auf der Suche nach Ruhe und Anonymität. Doch auch ihr Vater lebt inzwischen in England und ist schwer erkrankt. Wird Jule den Mut aufbringen, sich dem Menschen zu nähern, von dem sie sich so im Stich gelassen gefühlt hat? Und wird sie vielleicht ein bisschen Frieden mit sich selbst schließen können?

Meine Meinung

Ich wollte es nochmal mit einem Buch von Sarah Kuttner probieren, nachdem mir ihr Roman "Mängelexemplar" leider nicht so gut gefallen hat. Zum Glück, denn dieses Buch hat mich absolut positiv überrascht.

Die Geschichte von Jule gefiel mir sehr gut, weil es darin um das komplizierte Verhältnis zu den eigenen Eltern geht, um Selbstzweifel, Wut, aber auch um das "zu sich finden". Jeder kennt doch die Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen, gerade zu den Eltern, und jeder kennt auch das Gefühl, mit sich selbst nicht zufrieden zu sein. Sarah Kuttner schafft es, die schwierigen Themen in dem Buch durch ihren lockeren, flapsigen und umgangssprachlichen Schreibstil humorvoll rüberzubringen. Trotzdem ist das Buch keineswegs oberflächlich, sondern geht sehr in die Tiefe. Und es ist an manchen Stellen erschreckend ehrlich. Die Protagonistin Jule spricht Dinge aus, die man sich vielleicht nicht mal trauen würde zu denken. 

Jule trägt soviel Wut und Hass in sich, der sich besonders gegen sie selbst richtet. Im ersten Moment scheint sie als Hauptfigur vielleicht nicht so sympathisch, da sie immer und überall das Schlechte sieht und sehr eigensinnig und trotzig ist. Trotzdem mochte ich sie irgendwie, weil ich sie in vielen Punkten verstehen konnte und ich mich an manchen Stellen auch selbst ein bisschen in ihr wiedererkannt habe. 

Besonders toll fand ich die Beziehung von Jule zu ihrem Bruder Jakob. Die beiden haben sich ohne große Worte verstanden und man merkte einfach, dass sie miteinander harmonieren. In der Geschichte nimmt auch der Hund Bruno, der übergangsweise bei Jakobs Mitbewohnerin zur Pflege ist, einen recht großen Teil ein. Am Anfang kann Jule mit ihm gar nichts anfangen, aber so nach und nach freundet sie sich mit ihm an und immer wieder musste ich darüber schmunzeln, wie seine Charakterzüge mit denen von Jule verglichen wurden. Manchmal sind Tiere uns Menschen doch ähnlicher als man denkt.

Die Entwicklung der Geschichte ist, zumindest für mein Empfinden, gerade was die Beziehung zwischen Jule und ihrem Vater angeht, sehr realistisch und das gefiel mir ausgesprochen gut. Man kann eben nicht einfach einen Schalter im Kopf umlegen und alles ist verziehen und gut. Menschen ändern sich nicht so schnell und auch im wahren Leben läuft nicht alles so glatt, wie man es sich wünscht.

Ein Buch, das ich absolut weiterempfehlen kann!

Lieblingszitate

"Nur in seiner Weite und Unnahbarkeit berührt mich das Meer. Diese wunderbare, düstere Aussichtslosigkeit, die ein vor einem hingegossener Ozean vermittelt, fasziniert und rührt mich. Das empfand ich schon als kleines Kind so. Meer ist nichts wert, wenn es sich nicht zu 180° vor mir erstreckt." 

"Im Fernsehen laufen die EastEnders, aber sie dürfen nicht reden, ich habe den Fernseher auf lautlos gestellt. Ganz ausschalten wollte ich ihn nicht. Wie ein Bodyguard beschützt er mich und mein Hier und Jetzt, während ich Post aus dem Dort und Neulich lese."

Bewertung

Für mich war es ein tolles Buch, das mich mit seiner Thematik, seiner Ehrlichkeit und dem ungewöhnlichen Schreibstil überzeugt hat, daher:

5 von 5 Sternen










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